Friluftsliv – neuer Outdoor-Trend aus Norwegen oder Fake?

Zuletzt aktualisiert am 25. März 2021

Friluftsliv – frei übersetzt «Freiluftleben», oder «Leben unter freiem Himmel», also Leben in der Freien Natur,  beschreibt eine Lebenseinstellung, keine exakte Sportart. Ist das nun ein neuer Trend? Ein Hype? Eine uralte Tradition oder in diesem Zusammenhang gar ein Fake?

Erstmalig taucht der Begriff Friluftsliv Mitte des 19. Jahrhunderts auf. Der norwegische Dramatiker und Lyriker Henrik Ibsen verwendete ihn in einem Gedicht. Daher schreibt man die Lebenseinstellung und dem daraus resultierenden Trend Norwegen als Ursprungsland zu.

Friluftsliv ist zwar eine Mischung verschiedener norwegischer Wörter *¹, offensichtlich ist es aber eine Idee oder ein Gefühl, das sich zu dieser Zeit generell in den skandinavischen Ländern entwickelt hat. Ohnehin ist in diesen Ländern der Bezug zur Natur ein vollkommen anderer, wie ich auch auf meiner Finnland-Reise erfahren durfte.

In der öden Bergbauernhütte

sammle ich all meine reiche Beute.

Da ist ein Hocker, da ist eine Feuerstelle.

Freiluftleben für meine Gedanken.

Auszug aus Henrik Ibsens Paa Vidderne (1854) – frei übersetzt zit. nach Szczepanski 2007

Was genau mit dem Trend des Friluftsliv verbunden wird, lässt sich schwer sagen, weil der Begriff sehr individuell gedeutet werden kann. Fakt ist, dass es um das Leben mit und in der Natur geht. Die sportliche Aktivität. Radfahren, Wandern, Bergsteigen oder auch Angeln und Beeren sammeln. Es geht nicht um eine exakte Sportart. Somit auch nicht um ein bestimmtes sportliches Ziel. Es geht vielmehr um die Wahrnehmung und das Leben selbst.

Friluftsliv - Freiluftleben
Friluftsliv – Freiluftleben

Leben im Einklang mit der Natur bedeutet schließlich nicht, als Einsiedler in irgendeiner verlassenen Bergregion in einem Zelt zu wohnen und nur das zu sich zu nehmen, was Wald und Wiese bereitwillig geben. Wenngleich auch das eine Möglichkeit des Freiluftlebens ist. Allerdings aufgrund der zahlreichen gesetzlichen Regelungen in Punkto Camping und Biwakieren in den Bergen vielerorts kaum machbar.

Ist Friluftsliv: neuer Trend, traditionelle Einstellung oder ist alles nur Fake?

Auch das lässt sich aus meiner Sicht nicht eindeutig sagen. Es ist eine wohl eher Mischung aus Tradition und Trend.

In Norwegen und den skandinavischen Ländern ist die Einstellung zur Natur und die Verbundenheit seit jeher anders. Das mag daran liegen, dass mit Beginn der Industrialisierung die Skandinavier ein starkes Schutzempfinden für die Natur entwickelt und auch beibehalten haben.

Ein weiterer Grund mag auch in der dünnen Besiedelung Skandinaviens liegen. Vielleicht ist dadurch die Natur und der bewusste Umgang mit ihr mehr im Fokus des Bewusstseins der dort lebenden Menschen verankert. Anders als im restlichen, überwiegend stark besiedelten Europa.

Leben in der Natur
Leben in der Natur

Und dennoch kann man dieses Lebensgefühl als Trend verstehen. In den letzten Jahren, und vor allem Monaten, zieht es die Menschen allerorts immer mehr nach draußen. Da erfährt das Spazierengehen-gehen eine wahre Renaissance. Der Fahrradverkauf boomt, ebenso das Geschäft mit Outdoor-Equipment. Wandern, Bergsteigen, Skitourengehen. Sportarten werden neu entdeckt und die Bewegung an der frischen Luft erhält einen neuen Stellenwert.

Somit verbirgt sich hinter Friluftsliv also doch ein neuer Trend?

Auf hier wieder ein klares „jein“!

Wie bereits erwähnt verbirgt sich bei der Verwendung des Begriffs nicht um eine bestimmte Sportart oder eine klar definierte Unternehmung. Daher gehören die zuvor genannten, boomenden Outdoor-Aktivitäten natürlich ganz klar in das Umfeld von «Friluftsliv». Aber aus der Entwicklung heraus ist das nur die halbe Wahrheit und der halbe Sinn dahinter.

Ein wichtiger, und für mich somit wesentlicher Bestandteil von Friluftsliv ist der bewusste Umgang mit der Natur. Sich darin zu bewegen. Sie zu spüren, zu fühlen und zu schmecken. Sie zu erleben. Aber eben auch ihre Zerbrechlichkeit wahrzunehmen. Sie zu achten. Zu respektieren. Sie mit den dort lebenden Tieren zu teilen. Und: sie zu schützen.

Bei Friluftsliv geht es auch um den sorgsamen Umgang mit der Natur
Bei Friluftsliv geht es auch um den sorgsamen Umgang mit der Natur

Lebensgefühl & -philosophie

Erst in dieser Kombination liegt die Wahrheit. Und nur sie gibt dem Begriff einen tieferen Sinn und macht ihn zu einem Lebensgefühl und zu einer Philosophie.

Und genau dieser Teil des „Trends“ ist leider nicht in allen Bereichen vom hohen Norden zu uns nach Mitteleuropa übergeschwappt. Und gerade dieser Teil ist so wichtig!

Ãœberall beobachtet man Menschen, die viele Dinge zum erstem Mal tun, was ja grundsätzlich nicht verkehrt und sogar positiv ist. Aber zu den ersten Tourenskiern gehört einmal auch der richtige Umgang damit erlernt. Das Erkennen von Gefahren und genauso das Kennen und Beachten von Schutzgebieten. Zur 500€-Outdoorjacke und dem farblich passenden Rucksack gehört auch der 0,5-Cent-Müllbeutel, der für das „Wieder-ins-Tal-nehmen“ des eigenen Mülls gedacht ist. Und zu einem Waldspaziergang gehört eben nicht die portable 1.000-Watt-Juke-Box und auch nicht das auf Lautsprecher geschaltene Handygespräch!

Zu Friluftsliv gehören offene Augen, offene Herzen, Bewegung, Spaß, Ruhe und Genuss.

Trend ja oder nein?

Ich hoffe dass es ein Trend wird der sich durchsetzt. Und zwar in allen seinen Facetten und in allem was dazu gehört. Dann brauchen wir eines Tages vielleicht weniger Verbote, weniger Lenkung und weniger Kontrollen. Und wir erkennen den wahren Wert eines Ortes, unabhängig von seinem Bekanntheitsgrad, seiner Höhe oder seines vermeintlichen „Hot-Spot-Status“.

Dann erkennen und erleben wir uns als einen kleinen Teil der Natur. Die Natur die uns so viel gegeben hat und auch noch geben kann. Wenn wir sie nur lassen und den folgenden Generationen erhalten.

Gemeinsam die Natur genießen
Gemeinsam die Natur genießen


*¹Wörterbuch dt.-norw.: Freiheit ∼ frihet;  Luft ∼ luft; Leben ∼ liv


 

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