Wenn die Natur zur Kunst wird

2024 war für mich offenbar das Jahr der Kunst. Ich durfte mit Nino Malfatti in die Berge gehen, und ich durfte eine weitere Künstlerin kennenlernen. Cyrielle Recoura. Eine ehemalige Profisportlerin, die ihre Liebe zur Kunst zum Beruf gemacht hat. Ursprünglich wollten wir uns auf einer gemeinsame Bergtour treffen, aber leider hat das Wetter uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das regnerische Wetter selbst wäre weniger das Thema gewesen. Nur leider kam dichter Nebel hinzu, weshalb unsere Tour am Wilden Kaiser keine Aussicht auf das geplante Motiv zugelassen hätte. Und so haben wir uns „in ihrem Wohnzimmer“ in Bad Aibling getroffen und unter anderem festgestellt, dass wir durchaus schon das ein oder andere Motiv vor unserer beider Augen gehabt haben. Wie den Seebensee, den wir beide mit unseren Kameras festgehalten haben. Cyrielle ist noch ein Stück weiter aufgestiegen. Bis zum Drachenkopf. Und von diesem Besuch hat sie in ihrem ganz eigenen Stil nun ein Bild gefertigt, und ihre Gedanken dazu zu Papier gebracht. Und das nicht nur als Bild, sondern auch in ihren eigenen Worten. Und daher freue ich mich sowohl das Bild, wie auch den Gastbeitrag auf meinem Blog veröffentlichen zu dürfen.

Der Seebensee - Cyrielle Recoura Art
Der Seebensee – Cyrielle Recoura Art

Es kribbelt im Bauch.

Heute ist Sonntag und die Sonne scheint, was sich nur mit einem reimt: du haust in die Berge ab!

Die knackig frische Luft auf deinen Wangen, der Geruch von Erde und Moos und dein weiter Blick, der über die Gipfel streift…

Du spürst alles schon in dir und du willst nur eins: deine Wanderstiefel schnüren und los geht‘s!

Die Vorbereitung machst du fast mit geschlossenen Augen: 

  • Rucksack, Lieblingsklamotten und Schauschal für den Nacken, falls es doch ein bisschen frisch wird – check ✔️
  • Wanderschuhe mit ein bissel Matsch aus der letzten Wanderung – check ✔️
  • Schönen Rundtour mit einem Gipfel – check ✔️
  • Berghütte mit Kaiserschmarrn – check ✔️
  • 80% Bergwanderweg und kein Asphalt – check ✔️

Am Ende geht‘s ganz schön steil zum Gipfel hoch, aber das wirst du hinkriegen.

Die Vorfreude blüht in dir auf. Du siehst alles schon vor dir: die saftige Wiese, der plätschernder Bach, der frische Duft von wilden Blumen in der Luft…

In dem gleichen Augenblick lege ich Pinsel, Farbe und Leinwand auf dem Holztisch. Fast mit geschlossenen Augen.

Work in Progress - Seebensee Zugspitze - Skizze - Cyrielle Recoura Art
Work in Progress – Seebensee Zugspitze – Skizze – Cyrielle Recoura Art

Mit Sorgfalt zeichne ich den Bergumriss und überlege mir, wie ich den Aufstieg gestalten will.

Der Start fühlt sich intuitiv und leicht an. Ich bin in meinem Element und merke langsam, dass ich ins Flow komme: die Berglinie am Horizont taucht aus dem Nebel auf und die ersten Felswände lassen sich erkennen.

Jetzt lasse ich alles hinter mir.

Und du auch.

Der Rucksack sitzt bequem auf deinen Schultern, du bist voller Energie und die frische Bergluft in deinen Lungen gibt dir das Gefühl, dass du heute den Everest besteigen könntest.

Work in Progress - Seebensee Zugspitze - Skizze - Cyrielle Recoura Art
Work in Progress – Seebensee Zugspitze – Skizze – Cyrielle Recoura Art

Du vergisst plötzlich alles: der Stress der Arbeit, deine endlose To-Do-Liste, die Reihe an Terminen für die nächste Woche…

Du fühlst dich einfach sau-wohl.

Und langsam wird der Weg steiler, die Steine rutschiger und dein Atem schwerer.

Allmählich tauchen bei mir auch die ersten Zweifel auf: passt die Farbwahl, stimmt die Perspektive? Erkennt man überhaupt den Berg, wenn ich damit fertig bin?

Ich lege den Pinsel auf dem Tisch und mache eine kurze Pause. Kurz Wasser trinken und Abstand gewinnen. Ein Stück Brioche essen und neue Inspiration finden.

Du stellst deinen Rucksack auf einen Baumstamm am Wegesrand und holst deine Trinkflasche heraus. Zwei drei Schlucke, ein paar Nüsse und gleich schöpfst du neue Kraft.

Work in Progress - Seebensee Zugspitze - Skizze - Cyrielle Recoura Art
Work in Progress – Seebensee Zugspitze – Skizze – Cyrielle Recoura Art

Du hebst deinen Kopf und lässt deinen Blick über die endlose Bergkette am Horizont gleiten.

In der Luft liegt der Duft von Kiefern und du hörst nur das Rauschen des Windes in den Bäumen.

Ein wahres Wunder.

Und du gehst weiter.

Der Weg wird zunehmend härter, deine Beine werden schwer und deine Willenskraft ein bisschen schwächer.

Dein Tee-Shirt ist platschnass und der Gipfel scheint immer noch weit entfernt.

Du weißt, dass du stolz auf dich sein wirst, wenn du endlich das Kreuz unter deinen Finger spürst…

… aber jetzt schnaufst du einfach nur wie ein Walross!

Im selben Moment betrachte ich mein Gemälde und schmolle.

Wird es gut genug werden, damit ich es überhaupt zeigen kann? Soll ich’s lieber wegwerfen und mit einem neuen Blatt anfangen?

Aber ich geb‘ nicht auf.

Ich nehme einen feinen Pinsel in die Hand und zeichne einige Tannenbäume auf den Bergkamm. 

Strich für Strich.

Und plötzlich habe ich diesen Durchblick-Moment: „ja, das Bild wird etwas, ich muss einfach weitermachen“.

Du gehst aus dem Wald heraus und plötzlich ist er da: der raue Gipfel, mit schroffen Kanten und einem Panorama, das dir den Atem raubt.

Und wie von Zauberhand bist du wieder voller Saft und Kraft.

Die letzten 800 Meter sind steil.

Aufhalten? Keine Chance, du bist fast am Ziel.

Schritt für Schritt setzt du einen Fuß vor den anderen.

Deine Oberschenkel brennen, deine Waden stechen, dein Herz hämmert, aber du machst weiter. Und höher.

Du spürst die Vorfreude in deinem Herzen und musst einfach lächeln.

Mit den Händen an den Felsen kletterst du wie ein Steinbock die letzten Meter bis zum Gipfel.

Und jetzt ist es da: das ersehnte Gipfelkreuz.

Der heiliger Graal.

Du legst deine Hand auf dem Holzkreuz und eine überwältige Welle der Dankbarkeit und Stolz überrollt dich.

Geschafft!

360° um dich herum ist dein Lieblingsblick: die Gipfel soweit das Auge reicht und das Tal ganz unten, wo der blaue Fluss in der Sonne glitzert.

Du atmest durch und spürst in dir Glücksgefühle und Stille.

Der perfekte Moment.

Ein Juwel der Natur, das zum Verweilen und Staunen einlädst.

Mit Gold lasse ich die kleinen Zacken am Horizont glitzern.

Und mit Emotionen tupfe ich die letzten Tropfen Farbe auf.

Geschafft.

Ich nehme einen Schritt nach hinten und betrachte das Werk.

Jetzt sehe ich ihn.

Der perfekte Moment.

In jedem Pinselstrich sehe ich die Freude, die Anstrengung, den Schweiß und den Stolz aus meiner letzten Wanderung.

Die eine Wanderung bis zum Drachenkopf ganz oben, die dieses Gemälde inspiriert hat.

Man hört’s überall: der Weg ist das Ziel.

Aber ich sag dir was.

Dieses Gefühl der Freiheit, des puren Glücks und des Erfolgs auf dem Gipfel ist alle Wege der Welt wert.

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Weitere Informationen
Text & Bilder ©Cyrielle Recoura

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