Die Schneeflüsterer von Carezza – ein Skigebiet wird klimaneutral

Zuletzt aktualisiert am 9. August 2023

Klimaneutralität in 3 Jahren. Das hat sich das Skigebiet Carezza mit dem Beitritt zum Klimaneutralitätsbündnis 2025 auf die Agenda geschrieben. Doch kann der Alpinskisport überhaupt nachhaltig betrieben werden, oder ist das nur eine Frage des Geldes?

Der »Rosengarten«. Allein der Klang dieses Namens weckt die Sehnsüchte eines jeden Bergsportlers. Wir schweben mit König Laurin hinauf zur Kölner Hütte. Der Zweier-Sessellift bringt uns gemütlich auf 2.337m Seehöhe. Er gibt uns Zeit den Rosengarten über uns und den Latemar zu unserer rechten Seite zu bewundern.

Mit König Laurin hinauf zum Rosengarten
Mit König Laurin hinauf zum Rosengarten

Auch wenn die verspiegelte Skibrille meines Sitznachbarn die Augen verbirgt. Man fühlt mit jedem Satz, den er über diese herrliche Naturlandschaft um uns herum verliert, dass seine Augen funkeln. Der Mann neben mir im Lift ist Florian Eisath. Ehemaliger Weltcup-Skifahrer und Geschäftsführer des Klimaskigebiets Carezza Dolomites. Er begleitet mich in den kommenden Stunden durch das Skigebiet und zeigt mir »sein« Carezza, seine Vision der Zukunft.

Im November 2019 ist Carezza dem Klimaneutralitätsbündnis 2025 beigetreten und will binnen 3 Jahren vollständig klimaneutral werden. „Die Natur und Umwelt ist unsere wichtigste Ressource. Mit dem Beitritt zum Klimaneutralitätsbündnis möchten wir die Sensibilität für das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz forcieren“, erklärt Florian Eisath diesen Schritt.

Nur eine Frage des Geldes?

Klimaneutralität hat einen Preis. Und bei diesem Preis muss das eigene Handeln nicht einmal zwingend verändert werden. Zur Kompensation seines eigenen CO2-Fußabdrucks kann man das gute Gewissen auch einfach kaufen und in bestimmte Projekte investieren.

„Genau das ist aber nicht unser Anspruch! Wir wollen mehr!“

beschreibt Florian Eisath die Vision für »sein Skigebiet«.

Seitdem Carezza 2011 zusammen mit dem Partner-Gebiet Arosa in der Schweiz Teil des Projektes »Alpine Klimaskigebiete« wurde, konnten bereits bis zu 30 Prozent Treibstoff bei der Pistenpräparierung und bis zu 25 Prozent an Strom für die Beschneiung eingespart werden.

Das wurde mit verschiedenen Maßnahmen erreicht. Die Schneeerzeuger wurden ausgetauscht und die richtigen Schneekanonen und Lanzen an den richtigen Stelle platziert.

In Abhängigkeit von Pistenpreite, Exposition des Hangs, der Windsituation und der notwendigen Schneemenge hat das auch direkte Auswirkungen auf die notwendige Schubarbeit der Pistenraupe. Damit lässt sich wiederum Treibstoff einsparen. Zudem wurden die Pumpen, die das Wasser zu den Schneekanonen befördern, und auch die eingesetzte Druckluft optimiert. Eine weitere Einsparung in Sachen Energie.

Blauer Himmel, breite Pisten und perfekter Schnee im Skigebiet Carezza
Blauer Himmel, breite Pisten und perfekter Schnee im Skigebiet Carezza

Die Pistenraupen werden per GPS überprüft, so dass der geringste Weg und somit der wenigste Verbrauch entsteht. Mit Hilfe von Schneetiefenmessungen kann der Walzenfahrer auch genau dort den Schnee von der Piste nehmen, wo noch genügend liegt, und dort ausbringen, wo er benötigt wird. „Unter den Raupenfahrern ist geradezu ein Wettbewerb entstanden, wer noch weniger Verbrauch hat und wo noch ein Stück an Weg eingespart werden kann“, freut sich Florian Eisath über die Dynamik des Nachhaltigkeitsprozesses in seinem Unternehmen. Und wieder funkeln seine Augen.

Sicher einer der wesentlichsten Punkte für die nachhaltige Bewirtschaftung des Skigebiets ist die Schneeproduktion.

Der Schneeflüsterer von Carezza

Schnee entsteht aus Wasser und Luft. Mittels vollautomatischer Steuerung wird mittels modernster Technik in Carezza Schnee erzeugt. Und das nicht »am laufenden Band«. Georg Eisath, Florians Vater, ist Gründer von TechnoAlpin, einem der führenden Unternehmen für Schneeproduktion. Zugleich hat er vor 10 Jahren das nahezu brach liegende Skigebiet seiner Heimat übernommen und den Entwicklungsprozess von Carezza Dolomites eingeleitet.

Der »Schneeflüsterer« weiß, dass die Schneeproduktion bei idealen Temperaturen die Grundlage des Erfolges ist. Natürlich gehört das richtige Mischungsverhältnis aus Luft und Wasser mit dazu. Auf 100 Hektar Pistenfläche wird Jahr für Jahr eine durchschnittlich 60 Zentimeter hohe Schneedecke ausgebreitet. Dabei verwandeln 250 Schneekanonen und Lanzen 240.000m³ Wasser in 600.000m³ Schnee.

80 bis 100 Stunden dauert die Beschneiung“, verrät Georg Eisath. „Danach sind wir fertig und haben Schnee für die gesamte Saison.“ Im November bzw. Anfang Dezember gibt es ein Kältefenster. Bei bis -10°C herrschen ideale Bedingungen zur Schneeproduktion. Im Vergleich zu Temperaturen von -3°C kann bei -10°C die doppelte Menge an Schnee erzeugt werden. Bei gleichbleibendem Energieverbrauch der Geräte.

Das Familienskigebiet Carezza in den Dolomiten
Das Familienskigebiet Carezza in den Dolomiten

Dadurch geht Carezza in Betrieb und benötigt im Grunde des gesamten Winter über keinen neuen Schnee mehr. Nur wenn es erforderlich ist, wird an der ein oder anderen Stelle punktuell nachproduziert. Für Schneeproduktion werden die beiden Speicherseen in den wasserreichen Sommermonaten auf natürliche Art und Weise gefüllt. Nach dem Winter geht das Wasser, sozusagen zeitverzögert, in den natürlichen Kreislauf zurück.

Perfekte Bedingungen zum Skifahren in Carezza
Perfekte Bedingungen zum Skifahren in Carezza

Georg Eisath spricht von Marmor, wenn erwog der Grundlage des Erfolgs, von »seinem perfekten Schnee« erzählt. Und diesem edlen Vergleich steht der Schnee auch in natura in nichts nach.

Die drei Säulen der Nachhaltigkeit

Zurück auf der Piste mit Florian. Während wir Abfahrt um Abfahrt, in meiner Meinung nach Weltcup-Geschwindigkeit meistern, bleibt doch genug Zeit für ein Gespräch. Spätestens beim kurzen Zwischenstop in »LaurinsLounge«. „Bei uns heißt ein Kaffee nicht hinsetzen und gemütlich quatschen“, erklärt Florian. „Kaffee heißt bei uns, wir gehen kurz an die Bar, trinken einen Espresso, und nach 37 Sekunden geht es weiter.“ Diese Dynamik verfolgt Florian auch in seinem ganzen Tun, wenngleich eine solche Geschwindigkeit in einem Transformationsprozess nicht immer möglich ist.

Das Carezza Skigebiet und der Latemar
Das Carezza Skigebiet und der Latemar

Und schon sind wir wieder auf dem »weissen Marmor« unterwegs. Ein Schnee, der im Grunde zu keiner Tageszeit seine Konstanz verliert. Ein Umstand, den ich so in noch keinem Skigebiet der Alpen vorgefunden habe.

Florian Eisath möchte Carezza Dolomites als zukunftsweisendes Bergerlebnisangebot ganzjährig etablieren. Und das unter den drei Säulen der Nachhaltigkeit: ökologischen, ökonomisch und sozial. Das bedeutet, dass auch die Mitarbeiter, die Bevölkerung und Lieferanten in den Prozess mit eingebunden werden und von der Transformation profitieren sollen.

Pistentalk mit Florian Eisath
Pistentalk mit Florian Eisath

„Die Auszeichnung UNESCO Weltnaturerbe ist ein Geschenk. Es ist aber auch Verpflichtung und will gepflegt werden. Damit wir es an die nächste Generation übergeben können“, so Florian Eisath. Es ist ihm wichtig, dass die Bemühungen der Reduktion auf weitere Themen der Nachhaltigkeit ausgeweitet werden. „Dazu zählt zum Beispiel Vermeidung von Plastik auf den Skihütten“ Und der Erfolg zeigt: auch die Partner in der Region beteiligen sich rege an diesem auch für sie so wichtigen Zukunftsprojekt.

Die Konsequenz nicht zu investieren

Tourismusorte wie die im Eggental benötigen den Tourismus um zu überleben. Nimmt man diese Grundlage weg, drohen ganze Landstriche zu veröden. Kein Tourismus, keine Einnahmequelle. Keine Einnahmequelle, keine Arbeitsplätze. Keine Arbeitsplätze, keine Zukunft für die folgenden Generationen. Es drohen Abwanderung und der Verfall ganzer Ortschaften, wie ein Blick in Nachbartäler in Richtung Venedig zeigt. Mit der Abwanderung fehlen oft auch Nachfolger für bäuerliche Betriebe. Aufgelassene Höfe führen dazu, dass Kulturlandschaften nicht mehr bewirtschaftet werden und verwildern.

Der Rosengarten thront über allem
Der Rosengarten thront über allem

Spricht man also davon, nicht in den Tourismus zu investieren, so nimmt man diese Dynamik der Veränderung in Kauf. Sicher ist es in der heutigen Zeit mehr als fragwürdig Gebiete komplett neu zu erschließen. In der Investition in bestehende Gebiete liegt aber ein großes Potential in Sachen Nachhaltigkeit, wie auch für den Schutz der Natur. Das zeigt das Engagement in Carezza.

Blick auf den Rosengarten und das Klima-Skigebiet Carezza
Blick auf den Rosengarten und das Klima-Skigebiet Carezza

Neben vielen kleinen Schritten, braucht es in der Entwicklung hin zu einem klimaneutralen Skigebiet auch Geduld und einen langen Atem. Für Florian Eisath gehört auch der öffentliche Personennahverkehr zu einem der wichtigsten Meilensteine der nahen Zukunft. Die Anreise per Bahn nach Bozen und abgestimmte Bus-Transfers ins Eggental sollen den CO2-Abdruck des Gastes bei der Anreise nach Carezza reduzieren. Schließlich ist gerade die Anreise der größten Verursacher von Treibhausgasen. Außerdem ist eine neue Pendelbahn ins Skigebiet geplant, die dem Verkehr auf der Panoramastrasse hinauf ins Skigebiet weiter Einhalt gebieten soll.

König Laurins Erben

Der Legende nach belegte der Zwergenkönig Laurin seinen Rosengarten mit einem Fluch, auf dass ihn weder Tag noch Nacht jemand mehr sehen sollte. Dabei vergaß er die Dämmerung, in der das Felsmassiv unweit des Karersees immer zu glühen beginnt, und die ganze Pracht des Rosengartens zeigt. Ein Zwerg ist Florian Eisath sicher nicht. War er doch jahrelang ein Großer des alpinen Rennsports. Ein Fluch ist auch nicht, der die Gesellschaft und ihn dazu bewegt hat, beim geplanten Neubau der Bahn zur Kölner Hütte die Bergstation in Laurins Reich zu verstecken.

Unterwegs mit Florian Eisath, hinten der Latemar
Unterwegs mit Florian Eisath, hinten der Latemar

Es ist der konsequente Gedanke daran, Tourismus mit Nachhaltigkeit zu vereinbaren. Die Lebensgrundlage der Menschen in der Region, aber auch die Grundlage des Fremdenverkehrs selbst zu bewahren: die Natur und ihre Schönheit als höchstes Gut. Wenn Unternehmer die Verantwortung für Mensch und Natur als Antrieb haben und nicht nur das reine Streben nach Profit, wenn sie nach den drei Säulen der Nachhaltigkeit agieren, dann spürt man eine ganz eigene Begeisterung und Dynamik in ihren Worten, aber auch in ihrem Handeln.

 

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